Nachbericht
Stefan Skowron

“aus der Dampfzeit” war nicht als Musiktheater gedacht – weder im klassischen noch im modernen Sinne. Es war aber auch kein Bild, keine Skulptur, noch nicht einmal eine soziale. Schon eher sollte diese Arbeit an die traditionsreiche Form multimedialer, synästhetischer Werke anknüpfen wie sie die Kunst seit langem kennt; freilich nicht als egomanes Gesamtkunstwerk, von den so apostrophierten ist in Wahrheit ja nur ein Bruchteil tatsächlich nennenswert.

Doch als musikalische Theaterperformance in 5 Szenen verband “aus der Dampfzeit” verschiedenste Elemente, künstlerische Begabungen, Sinnbilder und Individuen zu einem Ganzen, und scheute sich dabei nicht, in einem Augenblick witzig zu sein und im nächsten traurig. Musik und bildende Kunst, schwesterlich einander zugetan, gaben ihr Bestes. Für die Zuschauer war es gleichzeitig ein körperliches und ein sinnliches Erlebnis, denn es war ernst und heiter, geplant und improvisiert, eineindeutig und narrativ, statische und beweglich. Und es war ein Wagnis.

An Anfang zu “aus der Dampfzeit” stand die Frage: Gibt es für das Leben ein Rezept? So, wie es zum Beispiel für Brot ein Rezept gibt.

Auf das Leben übertragen, hieß das also: Gibt es etwas, was garantiert, dass das, was ich vorhabe, auch gelingt? Gibt es die absolute Sicherheit? Ergo gibt es ein Recht auf ein glückliches, erfolgreiches und interessantes Leben? Hinter diesen keineswegs rhetorischen Fragen, die ja allesamt das gleiche ergründen wollen, nämlich, ob das Leben planbar ist, verbargen sich autobiografische Erlebnisse der Künstlerin aus ihrem Leben bis zum Stipendium in Mönchengladbach und ihrer Zeit als Stipendiaten der Josef und Hilde Wilberz-Stiftung. Wie für jede ansatzweise authentische Kunst lag folglich auch bei “aus der Dampfzeit” die Quelle in der eindringlichen Ausforschung der eigenen Person. “aus der Dampfzeit” ist demzufolge eine Geschichte, nicht frei von tragischen Zügen. Sie ist kein Gleichnis und schon gar nicht lehrreich, sie ist jedoch sehr emotional, mit dissonanten, expressiven und mit weichen, harmonischen Klängen. – Die Musik schrieb der Aachener Komponist Rüdiger Blömer, auch sie eine Art Collage, so zitiert er beispielsweise im ersten Akt Haydn.

Mit dem zeitlichen Abstand zur Uraufführung am 5. Juni 2005 auf dem Dach des Museum Abteiberg in Mönchengladbach stellt sich für mich heute jedoch noch ein ganz anderer Umstand als bedeutsam und für das Werk (mein Verständnis) unerlässlich dar: die äußeren Umstände der Aufführung unter freiem Himmel. “aus der Dampfzeit” wollte ja die Launenhaftigkeit des Lebens aufzuzeigen, die Fülle der Möglichkeiten und Wege, vielleicht sogar auch das, was mit dem Wort Schicksal nur unvollkommen beschrieben werden kann. Am 5. Juni 2005 stellten starker Wind, Regen und manch anderer Unbill die Künstlerin und alle Beteiligten vor große Probleme. Es war, als würde sich das Grundthema von “aus der Dampfzeit” gleichsam in eben jenen wetterbedingten Schwierigkeiten manifestieren, eine Aufführung gemäß der Partitur und den Vorstellungen der Künstlerin realisieren zu können.

Insofern war/ist “aus der Dampfzeit” ein im Wortsinne lebendiges Kunstwerk. Jeder Wiederaufführung dürfte anders verlaufen, muss anders verlaufen.

Weil das Leben so ist. Denn ein Rezept zu leben gibt es nicht.

aus dem Katalog “aus der Dampfzeit” 2006
Stefan Skowron