Die Normalität des Daseins
Gregor Jansen

Fussballfans sind gemeinhin und soziologisch im gesellschaftlichen Netzwerk eines komplexen Ornaments der Masse gesehen, einfache Wesen. Dennoch werden sie rein quantitativ immer gerne mit Museumsbesuchern verglichen. Deutsche Schrebergärten mit ihren meist liebevollen Bepflanzungen und sauber abgezäunten Minirevieren der Stadtbewohner bisweilen auch. Die Kombination aber, das geometrische Spiel und die formal wie gedankliche Überlagerung beider einfacher Wesenheiten ergibt ein neues, vertracktes und ungewöhnliches Konstrukt, eine Überlagerung, Verzahnung und Verfransung von inhaltlich aufgeladenen Flächen, welches bizarr, schön und eigenartig, künstlich und künstlerisch ist.

Yukako Ando wählte diese Form der verzahnten Darstellung für eine Ausstellung in Aachen, die einen sehr konkreten Bezug zum Bildinhalt hatte. Durch den Neubau eines Fußballstadions, dem berühmten Tivoli, in einer lang eingesessenen Schrebergartensiedlung am Stadtrand von Aachen, die somit weichen musste, kam es zu ebenjener abstrakten Auseinandersetzung zweier Interessensgruppen. Die einen treten lautstark und mitunter fanatisch auf, die andere Gruppe wird durch seltene, teils exotische Pflanzen repräsentiert - und augenblicklich entsteht eine wunderbare Symbiose von Natur und Kultur.

Die realen Orte sind es, die bei Ando interessieren. Sie kommt aus Osaka und hat in Düsseldorf Ende der 1990er Jahre Kunst studiert. Seitdem arbeitet sie am Grenzbereich des Fremden, Merkwürdigen, Surrealen und Spielerischen, beobachtet aber auch genau die urbane Absurdität und das Allein-Sein im Irgendwo. Es geht in ihren Aktionen und Installationen meist um existente Real-Orte des Schicksals, des Erlebens und Lebens, gleichzeitig um das Fremd-Sein und die Fremd-Empfindung. Das Leben offenbart sich als ständige, gereihte Situation mit unzähligen skurrilen Begebenheiten, Gefühlen zwischen Einrichten und Leben, zwischen Hausen und sozialen Verflechtungen. Wunderschön ist ihre Duisburger Wohnungs-Installation „S-t-e-f-a-n“ von 2006, in der Fiktion, Sehnsucht und Realität bizarr verschmelzen.

Anlässlich ihrer Kölner Ausstellung mit Wolfgang Lüttgens wählten beide den Begriff „range“ als gemeinsamen Ausstellungstitel. Sie reflektieren damit einerseits auf das Ausloten und Abstimmen ihrer eigenen Aktionsradien, beziehen sich andererseits aber auch auf das konkrete Arbeitsfeld vor Ort, in dem sich neue künstlerische Arbeiten behaupten, entfalten und dem Betrachter stellen. Andos Arbeiten sind eben auch häufig ortsspezifisch. Im Treppenhaus des Japanischen Kulturinstituts entwirft sie mit verspannten Spanngurten lakonisch eine klare Einheit von verrückter Plastizität. Ihre stupende Wandarbeit „picnic“ in unmittelbarer Nähe des kleinen Innenteiches und dem plätschernden Wasser ist klar, ohne Umschweife schön und einfach. Keine Tricks werden angewandt, aber es bleibt ebenso offen, was die Verspannungen mit den Trinkbechern versprechen. Sie lassen uns nachvollziehen, wie die Dinge zusammenkommen, ihren Abstand erhalten und gleichwohl ineinander greifen. Vier Farben – gespannt in einem Raum - und fertig ist ein Bild: Ein Wandbild im und für den Raum.

Ebenso hatte ihre kleine Intervention „Lace-ups“ im Raum Oberkassel in Düsseldorf im September 2010 großen Charme. In einem winzigen Raum mit Kamin stellte sie zwei eigene Chucks in den Raum, die mit superlangen Schnürsenkeln versehen waren. Der Witz aber war die weitergehende Überkreuzung der Schnürsenkel auf dem Boden, so dass eine sinnlose, absurde aber auch witzige, persönliche und damit letztlich tragikomische Situation hervorgerufen wurde.

Die Arbeiten von Yukako Ando resultieren aus genau jener persönlichen Erfahrung, die Realität als einen komplexen, bisweilen schwer ertragbaren, tragischen bis aberwitzigen Lebensraum wahrzunehmen, womöglich aus der gelebten Erfahrung der Japanerin in Deutschland. Letztlich vermischen sich hierin Wirklichkeit und Fiktion als gleichwertige Bestandteile ihres und unseres Empfindens, und in dieser Einheit wird die Plattform einer immer nur subjektiv erfahrbaren Welt ausgebildet.

Ebenso sind es immer wieder Tageszeitungen, aus denen Ando weite Stellen abdeckt, zumalt, und nur kleine, ganz bestimmte Elemente herausholt, stehen lässt. Interessant ist noch, dass es sich aus grafischen, ästhetischen Gründen immer nur um die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit handelt – andere reizen sie nicht. Die Zeitungsseite ist geweißt, nur der Moment der Abbildung herausgelöst, freigestellt: In ihm, sei es Bild oder Text, zeigt sich eine für Ando wesentliche Singularität eines Momentes, in ihr wird eine bestimmte Momentaufnahme deutlich. Sie interessiert sich für die Irritation dazwischen, für den Kontext, sei es Adenauer, sei es Werbung als Text, oder das Bild in der Kugel als kleiner Kosmos, ein Text wie BIG STORY, usw. – wir sind auf uns selbst zurückgeworfen, müssen Ergänzungen vornehmen – spielen mit den Leerstellen, mit dem Freiraum, mit dem Ausgelassenen!

Somit bleibt eine große Fläche für Phantasie auf den Seiten, die als Informationsträger in Zeit und Raum etwas extrem Zeitgenössisches und zugleich radikal schnell Überholtes besitzen.

Wunderschön sind auch ihre skulpturalen Werke wie „dialog“ von 2010, die beiden Billardspieler, die sich gegenüber liegen und verstecken, ein wenig scheu, ängstlich und anonym, gleichwohl wohlig eingekuschelt in ihren Decken. Ja, wollen sie das Ei anstoßen, ist es freundschaftlich oder eher feindselig - wer traut sich als Erster? Aber das Ei ist auch ein Symbol, da es seiner Form gemäß eiert und nicht gradlinig läuft wie eine Kugel, die man in die geplante Richtung stößt und die danach akkurat ihren Weg nimmt – Präzision ist mit einem Ei in diesem gewissem Sinne nicht möglich. Genau dies ist jedoch ebenso das wahre Leben wie die gute Kunst.

Die Normalität bestimmt das Dasein und meist bestimmt nur eine kleine Verschiebung, eine ungewohnte Veränderung den Zauber der meist unzauberhaften Normalität oder Realität. Yukako Ando lässt uns dies spüren und den Alltag vergessen. Die Fenster zur Welt sind durch Andos Interventionen gerade erst wieder geöffnet oder teilweise geschlossen, oder warten wie in der Wandverspannung auf die Entspannung in unseren Köpfen. Konstruktionen sind es immer und allemal; selbst wenn wir dies vorher wussten, so leicht und schön haben wir sie schon lange nicht mehr gesehen.

aus dem Katalog “range” 2011
Gregor Jansen